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Das von italienischen Einwanderern gegründete Hafenviertel La Boca wurde durch den Tango weltberühmt. Für uns ist es ein beschwerlicher Weg dorthin und anfänglich macht sich angesichts des Drecks und des trostlosen, in der Kloake des alten Hafens vor sich hindümpelnden Schiffsfriedhofs etwas Enttäuschung breit. Die vielen Touristenbusse weisen aber darauf hin, wo die Attraktionen von La Boca zu finden sind. Eine kurze Strasse, gesäumt von vielen, ihre Bilder feilbietenden Künstlern, führt an den mit grellen Farben bemalten, teilweise aus den Eisenwänden abgewrackter Schiffe erbauten Häusern vorbei. Die jammernden, wehmütigen Töne eines Bandoneóns - die argentinische Version der guten alten Ziehharmonika - schallen durch die engen Gassen. Wir folgen den Klängen und stossen auf zwei musizierende, ältere Herren, begleitet von einer Sängerin. Die Musiker sind Originale, denn die Zeit hat an der geschniegelten Eleganz ihre Spuren hinterlassen und man sieht ihnen und den Instrumenten an, dass sie den Tango wohl schon zu jener Zeit spielten, als er noch tagtäglich bis in die frühen Morgenstunden aus den umliegenden Kneipen erklang.

 

Am Morgen steigt Sonja zum Strand hinunter, um die Tiere aus geringerer Entfernung zu fotografieren. Es ist ihr bewusst, dass sie nicht zu nahe heran darf, denn das plumpe und friedliche Aussehen der See-Elefanten trügt, da sie bei Bedarf erstaunlich flink sein können und zudem über imposante Zähne verfügen. Erst als die Mutter von zwei Jungtieren ins Wasser gerobbt ist, kann sich Sonja vorsichtig den Kleinen nähern und - argwöhnisch vom Muttertier beobachtet - einige Aufnahmen machen.

Schon lange vor dem Eintreffen der ersten Touristenbusse fahren wir in das Naturreservat hinein. Schnell treffen wir auf unzählige dieser schwarzweissen, flugunfähigen Vögel. Die ganze Gegend ist mit kleinen, von den Pinguinen in den harten Boden gegrabenen Höhlen durchlöchert. Selbst auf dem eingezäunten Fussweg haben die putzigen Befrackten ihre Unterkünfte errichtet. Derzeit ist in fast jeder Behausung ein Tier dabei, ein bis zwei Eier auszubrüten. Einige Jungtiere sind schon geschlüpft, werden aber von den Eltern - Vater und Mutter wechseln sich beim Brüten ab - noch immer wärmend zugedeckt. Jene Tiere, die nicht mit Eierausbrüten beschäftigt sind, stehen wachsam vor der Höhle oder watscheln zum Strand, um ein Morgenbad zu nehmen. Ein Männchen ist ganz besonders neugierig auf meinen in der Sonne glänzenden Rollstuhl. Hartnäckig pickt er mit seinem kräftigen Schnabel an den gleissenden Chromteilen herum. Als er sich auch noch eingehender mit meinen Schuhen zu beschäftigen beginnt, ziehe ich es vor, mich von ihm zu verabschieden.

Nach einem kurzen Besuch der einzigen Ortschaft der 3’625 Quadratkilometer grossen Halbinsel  Valdez finden wir bald einen Aussichtspunkt mit freiem Blick auf den tiefblauen Golf. Kaum angekommen, entdecken wir schon den ersten, langsam der Steilküste entlangziehenden Wal. Hin und wieder stösst er mit lautem Prusten eine hohe Wasserfontäne aus. Am eindrücklichsten ist aber das Abtauchen dieser Giganten der Meere. Dann ragt die riesige Schwanzflosse hoch in die Luft hinaus und das Wasser trieft einer Kaskade gleich von ihr ab. Während Stunden beobachten wir mit dem Fernglas fasziniert das Schauspiel. Manchmal sind fünf Wale gleichzeitig zu sehen. Einzig einige bis auf wenige Meter an die Tiere heranfahrende Motorboote stören die Idylle.

 

Die nächsten Tage folgen Hunderte von Kilometern grobe Schotterpiste sowie tagelanges, für Mensch wie Maschine gleichermassen zermürbendes  Rütteln und Holpern. Konnte sich der Beifahrer während den vielen Stunden auf der Teerstrasse die Zeit noch mit Lesen oder Abhören der Lieblingskassetten vertreiben, bleibt hier das Buch geschlossen und das Radio stumm. Selbst eine angefangene Unterhaltung wird bald wieder abgebrochen. Der Lärm des über die gewellte Oberfläche springenden Fahrwerks sowie der an die Wagenunterseite prallenden Steine ist einfach zu gross. So hängt der Partner seinen Gedanken nach, währenddessen dem Fahrer höchste Konzentration abverlangt wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine andere Stichstrasse führt dem türkisfarbenen Lago Viedma entlang zum Bergmassiv Fitz Roy. Die treibenden Eisberge wurden vom gewaltigen Gletscher gekalbt, der sich in den neunzig Kilometer langen See ergiesst. Das berühmte Gebirge wird - wie schon seit zwei Wochen - von dichten Wolken verhüllt. Wir richten uns auf einem einfachen Campingplatz ein und als wir am späteren Abend wieder einmal einen Blick in die vermutete Richtung des Fitz Roy werfen, erheben sich überraschend die unverwechselbaren, vereisten Granitzinnen, geadelt mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad für Bergsteiger, in den nun beinahe wolkenlosen Himmel!

 

 

Der Moreno Gletscher ist ein Zipfel des patagonischen Inlandeises, der grössten Eismasse der Erde ausserhalb der Polarzonen. Pazifikstürme treiben unablässig Regenmassen hinauf zu dem urtümlichen Eispanzer. Die Eisschicht wächst und drückt Gletscherströme in die Täler: nach Westen in das unzugängliche Labyrinth der Fjorde Chiles, und nach Osten in Argentiniens Seen. Pausenlos verändert sich die Statik der Millionen von Tonnen geschobenen Eises. Ein unbeschreibliches Chaos von Türmen, Pfeilern, Zinnen und Orgelpfeifen. Schon während der Nacht war oft ein Donnern und Grollen zu hören, doch jetzt, so nahe an dieser gewaltigen, vier Kilometer breiten und bis zu siebzig Meter hohen Eiswand, scheinen dauernd Peitschen zu knallen, Gewehre zu knattern oder Böllerschüsse zu donnern. Immer wieder stürzt ein Eisbrocken, klein wie eine Hundehütte oder gross wie ein Kirchturm, in die Fluten und lässt eine Fontäne hochschiessen. Der neue Eisberg dreht und windet sich und schickt eine rauschende Brandung an unser Ufer.

Die von Jan empfohlene Laguna Amarga bietet einen atemberaubenden Anblick: Im Vordergrund der türkisfarbene See, an dessen von Salzablagerungen weiss schimmernden Ufer sich viele Flamingos tummeln, und dahinter, scheinbar zum Greifen nah, die zweitausend Meter hohen Felstürme des Torres del Paine. Keine Menschenseele weit und breit. Am Abend sitzen wir einfach da und erfreuen uns an der grossartigen Landschaft und den Flamingos, die die Hälse schnurgerade nach vorne, die Beine ebenso nach hinten gestreckt, in Formation ganz knapp über die spiegelglatte, nun unheimlich dunkle Wasseroberfläche, fliegen. Selbst am späten Abend ist es noch angenehm warm, obwohl wir uns mittlerweile auf dem zweiundfünfzigsten südlichen Breitengrad befinden

Wieder zurück beim Rio Pipo, treffen wir Ernst und Silke aus Deutschland an. Sie sind mit ihrem betagten VW-Bus von Kanada bis hierher gefahren und natürlich entbrennt sofort eine rege Unterhaltung. Später gesellen sich auch noch zwei Deutsche mit einem VW-Käfer sowie Seppi und Angelika mit ihrem seltsamen Gefährt dazu. Das Münchner Paar hat die Panamericana mit einem dreissigjährigen LKW, auf dessen Ladebrücke ein ausrangierter, als Wohnung dienender VW-Camper montiert ist, gemeistert.

Nun scheint einem gemütlichen Weihnachtsabend wirklich nichts mehr im Wege zu stehen. Eifrig wird Holz gesammelt, werden Kuchen und Plätzchen gebacken und literweise Glühwein gekocht. Mehrere Schichten Winterbekleidung und ein prasselndes Feuer sorgen für äussere, der Glühwein für innere Wärme. Reiseerlebnisse machen die Runde und ab Tonband erklingen zwischendurch heimatliche Weihnachtslieder. Sogar der sonst obligate Regen ist nachsichtig und so bleibt die fröhliche Runde bis zum Morgengrauen sitzen.

 

Der zweite Weihnachtstag ist dann wieder gewohnt regnerisch und so löst sich unsere kleine Gesellschaft langsam auf. Auch wir steuern wenig später die Ruta3 Richtung Norden an. Das südliche Ende - oder je nach Betrachtungsweise der Beginn - dieser Strasse befindet sich im Nationalpark von Feuerland. Dort verkündet eine Tafel „17’848 Kilometer bis Alaska". Für uns dürfte sich diese Zahl noch um einiges erhöhen, da wir ja keinesfalls auf dem direkten Weg nach Alaska wollen. Alleine schon die 3’063 - ebenfalls auf der Tafel ausgewiesenen - Kilometer nach Buenos Aires summierten sich für uns auf deren 10'000.

Bei Cochrane treffen wir auf den Camino Austral, jene von General Pinochet zur Erschliessung Südchiles erbauten Strasse. Damit errichtete sich der Diktator gleich sein eigenes Denkmal, doch dürften auch strategische Gründe gegenüber dem östlichen Nachbarn eine wichtige Rolle gespielt haben, denn Chile und Argentinien sind sich zeitweilig noch immer spinnefeind. An der Strasse wird unverdrossen weitergebaut und irgendwann soll sie bis an die undurchdringliche Gletscher- und Fjordenlandschaft des tiefen Südens reichen.

Wir befinden uns nun an der regenreichen Pazifikküste. Während der Nacht schlägt das traumhafte Wetter der letzten Tage prompt um und am Morgen sind die umliegenden Berge bis in tiefe Lagen verschneit. Der Camino Austral schlängelt sich über Bergzüge, geleitet reissende Flüsse und durchquert dichten Regenwald. Lange Zeit fahren wir dem Rio Baker entlang, dessen Wasser so tiefblau ist, wie wir es zuvor noch nie gesehen haben. Dann passieren wir ein Gebiet, das durch den Ausbruch des Volcano Hudson im Jahre 1991 unter einer tiefen Aschendecke versank. Die Strasse ist teilweise in einem sehr schlechten Zustand und der Regen prasselt den ganzen Tag auf uns hernieder, wobei er oberhalb von sechshundert Metern in dichtes Schneetreiben übergeht - und das im Hochsommer!

Der Camino Austral durchquert eines dieser Reservate, den Parque Nacional Queulat, dessen Hauptattraktion ein überhängender Gletscher ist. Das bläuliche Eis fliesst einen abrupt in eine senkrechte Felswand übergehenden Bergrücken hinab. Da auch dieser Gletscher wächst, brechen immer wieder grosse Eisstücke ab und stürzen mit lautem Krachen und Poltern in die Tiefe. Gleich mehrere eindrückliche, vom Schmelzwasser gespeiste Wasserfälle donnern über den Abgrund.

Einmalig ist die Pflanzenvielfalt des dichten Regenwaldes, wobei vor allem die riesigen Farne oder die Nalcas, ein unserem Rhabarber ähnliches Gewächs, auffallen. Der Stiel der Jungpflanzen ist ebenfalls essbar, die Blätter können jedoch das Ausmass eines Sonnenschirmes in einem Gartencafé annehmen. Innerhalb des dichten, blütenreichen Buschwerks spürt der Eindringling gleich eine kalte Feuchtigkeit, als würde er in eine Kühlkammer eintreten.

 

Das Fischerdorf Chaiten ist unsere Endstation auf dem Camino Austral. Zwar würde die Strasse - mehrmals von Fjorden unterbrochen, die mittels Fähren überbrückt werden müssen - noch weiter der Küste entlang bis Puerto Montt führen, doch uns reizt nun die ebenfalls am Weg Richtung Norden gelegene, sagenumwobene Insel Chiloé.

Stundenlang warten wir vor dem Büro der Schifffahrtsgesellschaft, weil dem guten Mann die Billette ausgegangen sind, bis man uns trotz anfangs anderslautender Auskunft endlich mitteilt, dass Tickets auch auf dem Schiff erhältlich sind. Nach fünfstündiger Überfahrt legt die Fähre in der kleinen Hafenstadt Quellon, der südlichsten Ortschaft der einhundertachtzig Kilometer langen Insel, an. Die vielen buntbemalten Fischerboote lassen unschwer erkennen, dass Fischfang für die Inselbewohner hauptsächlicher Erwerbszweig ist. Gleich am Strand, unter freiem Himmel, entstehen mit einfachen Mitteln neue Holzschiffe nach traditioneller Bauart. Überhaupt ist Holz auf der dicht bewaldeten Insel ein wichtiger Rohstoff. So sind die meisten Häuser aus diesem Material gebaut und mit kunstvoll gefertigten, oft in leuchtenden Farben bemalten Schindeln verkleidet. Ausserhalb der wenigen Ortschaften trifft man auf kleine Bauernhöfe, wo Weizen, Hafer, Gemüse und Obst angebaut sowie eine bescheidene Viehwirtschaft betrieben wird. Der Westen der Insel ist mehrheitlich von finsterem Wald bedeckt und beinahe unbewohnt. Ein nur zu Fuss oder Pferd zugänglicher Nationalpark soll dafür sorgen, dass diese ursprüngliche Landschaft auch künftig als solche erhalten bleibt.

 

Die Seenregion Chiles gehört wohl zu einer der schönsten Gegenden unseres Planeten. Einer Perlenkette gleich reihen sich schneebedeckte Vulkane und tiefblaue Seen aneinander. Das herrliche Wetter bietet eine phantastische Fernsicht: Vor uns der Volcano Villarica, dessen feine Rauchsäule anzeigt, dass er noch immer aktiv ist. Und fern im Osten, bereits auf argentinischem Gebiet, aber immer noch sehr deutlich zu sehen, der Volcano Lanin, an dessen Fuss wir schon vor mehr als drei Monaten campierten. Die Schönheit dieser Landschaft zieht viele Menschen an und macht sie zum beliebtesten Urlaubsziel Chiles. Dort, wo die Ufer der Seen noch nicht mit Ferienhäusern, Hotels oder Campingplätzen verbaut sind, tummeln sich an schwarzen Lavastränden Sonnenhungrige und Badende in grosser Zahl.

 

Wir befinden uns wieder auf der unbeirrt in Richtung Norden führenden Panamericana. Pflanzen werden immer seltener, bis sie schliesslich vollends ausbleiben und einer absolut vegetationslosen Wüste weichen. Ein Schild am Strassenrand bestätigt, dass wir uns nun in der Atacama-Wüste befinden, der trockensten Region unseres Planeten. Die kalte Meeresströmung des Humboldtstroms trägt nicht den geringsten Seewind zur Küste und das nach einer schmalen Ebene abrupt aufsteigende Küstengebirge hält aufsteigende Feuchtigkeitsnebel wirksam vom Inneren der Atacama fern. Das hat zur Folge, dass hier während Jahrzehnten kein Tropfen Regen fallen kann. Die geringe Luftfeuchtigkeit in der Atacama führt auch zu den weltweit höchsten Temperaturschwankungen.

 

Eine wenig bekannte Route über die Anden reizt uns seit langem: die Überquerung des Paso Socompa. Es gäbe einfachere Möglichkeiten um nach Argentinien zu gelangen, denn über diese Strecke sind weder Wegbeschreibungen noch genaue Karten erhältlich. Bereits zweimal erkundigten wir uns bei der Polizei nach dem Zustand der Strasse. Die hilfsbereiten Carabinieros fragten jeweils telefonisch direkt beim Grenzposten über die aktuelle Situation nach, aber die Auskünfte waren nicht gerade ermutigend. Beim ersten Mal hiess es, der Pass sei infolge starken Regens geschlossen und einen Tag später erhielten wir die niederschlagende Mitteilung, die Strecke sei nur noch mit Schneeketten befahrbar. Vor dem definitiven Festlegen der Weiterreise orientieren wir uns ein letztes Mal und die aktuelle Meldung lautet nun: „Der Pass ist offen, aber in schlechtem Zustand.“ Etwas anderes hatten wir eigentlich auch nicht erwartet und somit ist der Verlauf der weiteren Route rasch bestimmt.

Den Anstoss, ausgerechnet diesen Pass zu überqueren, gab der Tren a las Nubes, „der Zug, der in die Wolken fährt“, denn diese einmalige Bahnlinie wird stre­ckenweise von einer kaum befahrenen Piste begleitet. Die neunhundert Kilometer lange Eisenbahnlinie führt von Salta in Argentinien über den Socompa-Pass an die Pazifikküste, nach Antofagasta in Chile und muss dabei eine Höhe von 4500 Metern überwinden. Bereits 1921 wurde mit dem Bau begonnen, doch bis zur Vollendung sollten siebenundzwanzig Jahre ins Land ziehen. Anstoss zu diesem kostspieligen und technisch schwierigen Projekt gaben einmal mehr die zahlreichen Bergwerke der Gegend. Der Personentransport spielte anfangs lediglich eine untergeordnete Rolle. Heute ist die Fahrt mit der Eisenbahn - wenigstens vom argentinischen Salta bis zum höchsten Punkt der Strecke - eine 1A-Touristenattraktion und muss teuer bezahlt werden. Der Tourismus rettet nun die defizitäre Bahn vielleicht sogar vor der Stilllegung.

Am nächsten Morgen brummt nach einer mehr schlecht als recht durchschlafenen Nacht auch mein Schädel. Der Motor braucht, nagelnd und qualmend wie eine Dampflokomotive, eine nicht enden wollende Weile, bis er endlich zum Leben erwacht und wenigstens ein klein wenig Leistung abgibt. Im Schritttempo meistern wir den folgenden Höhenzug. Bald durchsticht der nun sehr schmale Weg eine steil abfallende Geröllhalde. Immer wieder gilt es, abgerutschtes Gestein vorsichtig zu um- oder überfahren. Dabei kratzt es einige Male vernehmlich am Unterboden. Was, wenn hier ein abgestürzter Felsbrocken den Weg blockiert? Dann gibt es wohl nur noch eins, nämlich den ganzen weiten Weg wieder zurück. Auf Hilfe könnte man lange warten, da auch die Grenzbeamten lieber den Zug nehmen als tagelang auf dieser verwahrlosten Strasse dahinzuholpern. Tief unter uns breitet sich nun ein gleissend weisser Salzsee aus und in der Ferne sind einige schneebedeckte Sechstausender zu erkennen. Bis zum Horizont dehnt sich diese ausserirdische Landschaft aus Geröll und Schotter, aus Salzseen und Vulkanen aus.

 

Ausserhalb des Dorfes verkündet ein Schild unheilvoll: „Strasse gesperrt!". Da uns aber bekannt ist, dass Touristen ebenfalls über diesen Weg zu den Geysiren hinaufbefördert werden, fahren wir weiter. Durch schon vor längerer Zeit niedergegangene heftige Regenfälle wurde die Piste an einigen Stellen weggeschwemmt, diese Hindernisse können aber umfahren werden. Beni klettert unbeirrt höher und höher und am Nachmittag erblicken wir die Dampfschwaden der 4’300 Meter hoch gelegenen, von schneebedeckten Bergen umgebenen Geysire. Überall brodelt, gurgelt und dampft es. Kochendheisses Wasser sprudelt in geheimnisvoll tiefen, ins Erdinnere führenden Öffnungen. In unregelmässigen Abständen zieht sich das Wasser plötzlich zurück, um dann wieder wie ein Springbrunnen in die Höhe zu schiessen. Die Geysire des El Tatio sind sicherlich nicht so spektakulär wie der weltberühmte Old Faithful im Yellowstone Nationalpark in den USA, aber die Landschaftskulisse, vereint mit der Abgeschiedenheit und ohne Einzäunung oder Aufseher, verleihen ihnen eine ganz spezielle Note. Da keine Menschenseele zu sehen ist, beschliessen wir die Nacht gleich hier zu verbringen.

Der Rückweg gestaltet sich etwas einfacher und später kommen wir zu einem lediglich aus einigen halbverfallenen Steinhäusern bestehenden Indiodorf. Am Rand der Siedlung trotzt eine kleine Kirche wohl schon seit Jahrhunderten der Unbill der Natur. Immer wieder trifft man in dieser Gegend auf solche aus Stein oder Lehmziegeln erbauten Gotteshäuser. Diese schlichten Kirchlein mit ihren niedrigen, viereckigen Glockentürmen vereinen wunderschön den spanischen Baustil mit jenem der Inka. Sie ducken sich anmutig in die grossartige Umgebung des Altiplano und lassen, im Gegensatz zu den festungsähnlichen, mit Gold und Silber prunkenden Kirchen der Städte, spüren, was sie eigentlich bezwecken.

 

In der Nacht fängt es an zu regnen und gegen Morgen geht der Regen in Schnee über. Heute ist Karfreitag. Gestern Abend noch lauschten wir über Kurzwelle schadenfreudig dem heimatlichen Wetterbericht für die Ostertage: „Schnee bis in die Niederungen!“. Da werden Erinnerungen an frühere verregnete und verschneite Ostern wach. Doch nun teilen wir das gleiche Schicksal wie die Daheimgebliebenen, allerdings mit dem Unterschied, dass unsere Situation wahrscheinlich etwas weniger komfortabel ist. Bei diesem Wetter können wir es nicht wagen, die schwierige Stre­cke entlang der bolivianischen Grenze in Angriff zu nehmen. Die Wege sind aufgeweicht, Bäche und Flüsse angeschwollen und bestimmt sind auch einige mit tiefem Schnee bedeckte Höhenzüge zu überqueren. Wir überlegen hin und her und entschliessen uns schliesslich schweren Herzens zur Umkehr und dem weiten Umweg über die Panamericana. Problematisch kann es auch so noch werden, denn vor uns liegt ja noch jener hohe Pass, über den wir hierher gekommen sind.

Panamericana - "Traumstrasse der Welt" - hier trifft diese klischeehafte Bezeichnung voll zu

Noch vor wenigen Jahren war es für Fahrzeug und Besatzung gleichermassen eine Herausforderung, von Arica nach La Paz, Bolivien, zu fahren. Nun ist die Strasse durchgehend geteert und Eilige könnten die fünfhundert Kilometer wohl in einem Tag zurücklegen, was aber einer Sünde gleichkäme, denn wir passieren eine der faszinierendsten Gegenden unseres Planeten. Nach unzähligen Kurven spiegeln sich kurz vor der bolivianischen Grenze zwei nahezu identische, eisbedeckte Vulkane in einem der höchstgelegenen Seen der Welt. Seltene Wasservögel tummeln sich am Ufer, während auf den umliegenden Wiesen viele Vicuñas grasen.

 

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